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Dimitris Glinos über „Die neue Ordnung der Dinge“

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2022-01-19 2022-01-19 19.01.2022
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Dimitris Glinos

Dimítris Glinós (griechisch Δημήτρης Γληνός) war ein griechischer Philosoph, Pädagoge und Politiker. Er wurde am 2. September 1882 in Smyrna geboren und starb am 26. Dezember 1943 in Athen. 1899 zog Glinós nach Athen, wo er Philosophie studierte. 1905 wechselte er an die Universität Jena und studierte dort neben Philosophie auch Pädagogik und experimentelle Psychologie, bevor er 1909 an die Universität Leipzig wechselte. Nach seiner Rückkehr nach Griechenland stellte er 1913 der griechischen Regierung eine Bildungsreform vor, in der er sich für die Verwendung der Umgangssprache Dimotiki als Unterrichtssprache und die Mädchenbildung einsetzte und die Verlängerung der Grundschulzeit von 4 auf 6 Jahre empfahl. Glinós wurde 1917 unter Premierminister Eleftherios Venizelos Generalsekretär des Bildungsministeriums. Er begann, die vorgeschlagenen Änderungen umzusetzen, wurde aber gestoppt, als Venizelos 1920 die Macht verlor. 1930 begann seine aktive Teilnahme in der Politik. 1936 wurde er zum Abgeordneten der Kommunistischen Partei Griechenlands gewählt. Unter dem Metaxas-Regime wurde er auf die Insel Agios Efstratios verbannt. Während der Besatzung Griechenlands durch die Achsenmächte im Zweiten Weltkrieg wurde Glinós zu einem der Gründer der kommunistisch geführten Nationalen Befreiungsfront (EAM). Er schrieb im September 1942 auch ihr politisches Manifest Was ist die Nationale Befreiungsfront und was will sie.
Aus diesem Buch stellen wir hier das erste Kapitel in deutscher Übersetzung vor.

Die neue Ordnung der Dinge

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Dimitris Glinos

„Dieses Buch des verstorbenen Dimítris Glinós «Was ist und was will die EAM» erschien zum ersten Mal im September 1942 während der Besatzung mit dem Zweck, dem Volk die Bedeutung und den Verlauf des nationalen Kampfes zu erklären, wie er im allgemeinen Programm der Nationalen Befreiungsfront formuliert ist.
Mit diesem einfachen Büchlein als Führer wurde das griechische Volk über die Probleme und die Pflichten des nationalen Befreiungskampfs aufgeklärt … Von Hand zu Hand weitergegeben, gelangte es bis in den letzten Winkel Griechenlands.“
Aus dem Vorwort der „Volksaufklärung der EAM“ zur Neuausgabe im November 1944

Seit April 1941 hat eine Welle düsterer Versklavung Griechenland befallen. Und diese ist die brutalste, unmenschlichste, blutrünstigste, erdrückendste Versklavung von allen, die bis jetzt unser viel gequältes Land in den 3000 Jahren seiner stürmischen Geschichte kennengelernt hat. Die wild gewordenen nationalfaschistischen Bestien Europas, die die Unterwerfung der europäischen Völker vorgeplant und systematisch organisiert haben, um sie zu ihren Kolonialsklaven ohne Hoffnung auf Erlösung zu machen, haben sich auf Griechenland gestürzt. Die heldenhaften Männer des griechischen Volks haben dem ersten Eroberer ins Gesicht geschlagen, ihm schwer zugesetzt, ihn gedemütigt, ihn in die Berge Albaniens zurückgedrängt. Und dann setzten sich gegen unser Land die voll bewaffneten Divisionen, die Panzer, die Kanonen und die Flugzeuge der Deutschen in Bewegung, um eine Handvoll tapferer Soldaten hinterrücks anzugreifen. Doch auch mit diesen kämpften die griechischen Soldaten heldenhaft, wobei sie von vornherein wussten, dass sie, eine Handvoll Menschen, fast ohne Waffen, gewiss nicht in der Lage waren, den feurigen Strom aufzuhalten, der herunterkam.
Doch ihr Kampf und ihr Opfer hatte symbolische Bedeutung. Zeigte er doch, dass die Griechen kein Volk „bereit für die Versklavung“ sind. Er zeigte, dass die Griechen gelernt haben, für die Freiheit zu sterben, die ihnen niemals jemand geschenkt hat, denn schon immer, seit der Zeit der Schlachten von Marathon und Salamis bis 1821 und bis heute, haben sie die Freiheit mit ihrem Blut und ihrer Tapferkeit gewonnen.
Und dann kamen hinter den voll bewaffneten Divisionen der Deutschen die „Löwen“ Mussolinis hinterher und stürzten sich auf Griechenland und überschwemmten unser Land, Rumelien und Peloponnes und Inseln, und die „Sieger“ machten es sich in unseren Gemeinden und Dörfern bequem, und seitdem essen und trinken sie und saugen unser Blut. Und dann kamen nach den Deutschen auch noch andere tapfere Eroberer, ohne aus Gewehren zu schießen und ohne sich einem griechischen Soldaten entgegen zu sehen, die bulgarischen Faschisten, und auch diese begannen ihr heldenhaftes Werk: das Griechentum aus Makedonien und Thrakien auszulöschen. Immer unter dem Schutz der deutschen Bajonette, schlachteten und töteten sie zigtausende Griechen, verbrannten Dörfer, machten Hunderttausende obdachlos, zwangen alle Griechen, ihren Namen die Endung „ov“ hinzuzufügen, damit sie Bulgaren würden, setzten bulgarische Priester in den Kirchen ein, bulgarische Lehrer in den Schulen, damit diese Griechenland zivilisierten, gemäß dem Beispiel, das ihnen die nationalsozialistischen „Zivilisierer“ Norwegens, Polens, der Tschechoslowakei usw. geben. Und es kamen hinter den Deutschen und Italienern noch die tapferen Albaner in den griechischen Epirus für das von den Vorfahren vererbte Beutemachen, und es krochen in Thessalien einige angeberische, ekelhafte Schnecken hervor, die rumänische Vlachen heißen, und umkreisen räuberisch die Dörfer, plündernd und die Gegend verwüstend.
Und die Welle der düsteren Versklavung ergoss sich danach über das heldenhafte Kreta. Vom Himmel fielen die Raubvögel, um mit ihren Krallen das Fleisch des kretischen Volks zu zerreißen. Und als sie den Heldenmut der unerschrockenen Greise und Kinder und Frauen sahen, stellten sie ihre Maschinengewehre und ihre Kanonen auf und flogen mit ihren Flugzeugen über die Gemeinden und Dörfer Kretas, und glaubten, mit Feuer und mit glühendem Eisen die furchtlose Einstellung des Volks zu bezwingen, das keinen Eroberer eine Nacht ruhig schlafen ließ, ganze Jahrhunderte lang.
Und jetzt sind achtzehn Monate vergangen, seit sich alle diese „Herrenvölker“ daran gemacht haben, die „neue Ordnung der Dinge“ auch in Griechenland einzurichten. Und das griechische Volk kannte sie, oder besser, erkannte sie wieder, die neue Ordnung der Dinge, die so alt ist wie die Welt und mit ihrem wahren Wort „Versklavung“ heißt. Düstere Versklavung und Raub und Barbarei, und Plünderung und Verwüstung des Lands. Es ist die Ordnung, die die Barbaren Asiens, die Perser, die Hunnen, die Mongolen von Tamerlan und Dschingis Khan, die Türken Mohammeds in dieses Land bringen wollten, mit dem einzigen Unterschied, dass dieses Mal diese Ordnung mit dem wissenschaftlich organisierten Raub verbunden ist. Alles was die Arbeit des griechischen Volks in den hundert Jahren seines freien Lebens erschaffen hat, alle unsere materiellen Güter sind verschwunden. Alle Lebensmittel und Gegenstände, die in unseren Lagern waren, Zucker, Kaffee, Reis, Öl, Felle, Eisenwaren, Werkzeug und Arzneimittel, Kleidung, Wolle und Baumwolle, Metall und selbst die wissenschaftlichen Instrumente von unseren wissenschaftlichen Laboratorien, alles wurde geplündert. Alle Tiere für die Ackerbestellung, die Verpflegung, den Transport, Pferde, Maultiere, Rinder, Schafe, Ziegen, Schweine, Truthennen, Hühner wurden ergriffen, aufgegessen. Alle unsere Transportmittel, Kraftfahrzeuge, Lastwagen, Motorräder und Fahrräder und sogar Karren, alle unsere Schiffe, Segelboote, Motorboote wurden beschlagnahmt, sind verschwunden und jetzt verspotten sie uns als rückständig und glauben, wir hätten schon immer unsere Transporte mit elenden zweirädrigen Kisten gemacht, die auf den Straßen Athens unterwegs sind. Alle Produkte des Bodens, selbst jene, von denen wir mehr als genug hatten und die wir ins Ausland verkauften, wurden für uns auf einen Schlag unsichtbar und seltene Erscheinungen. Keinen Weizen mehr, keine Gerste, keinen Mais, dazu unser Öl, unsere Oliven, unser Käse, unsere Milch, unsere Rosinen, unsere Feigen, unser Wein, unser Gemüse, unsere Fische, unser Obst, unsere Tabakwaren, sie waren unseren Augen entschwunden. Im Land des Olivenbaums und des Öls sterben die Menschen aufgedunsen, weil sie keinen Tropfen Öl haben, um ihn dem im Wasser gekochten Wildgemüse hinzuzufügen. Und wir sind heute soweit gekommen, dass wir für die Oka Öl 27.000 Drachmen bezahlen, für Fleisch 22.000 pro Oka, 1.200 Drachmen pro Oka Trauben im Monat August, 2.600 Drachmen die Oka Milch im Schafstall, 2.500 Drachmen die Oka Tomaten. Alle brennbaren Materialien sind verschwunden, die Steinkohle, das Erdöl, das Benzin, die Holzkohle. Und nachdem sie uns all das weggenommen haben und uns gezwungen haben, unsere Wälder abzubrennen, um unser Essen zu kochen, bezichtigen sie uns als Barbaren, „weil wir die Wälder nicht achten“. Und gleichzeitig schaffen diese jede Menge von unserem Holz hinab und verbrennen es in ihren Kesseln. Und nachdem sie uns alle Arbeitsmittel weggenommen haben und uns des Hungers sterben lassen, werfen sie uns vor, dass wir angeblich Faulpelze, Dauergäste im Kafenion und Betrüger sind und dass deshalb sie uns zum Schaffen bringen, so wie sie es gewohnt sind, Sklaven arbeiten zu lassen.
Und dicht neben dieser direkten Ausplünderung marschiert der wissenschaftlich organisierte Raub. In alle griechischen Handels-, Industrie- und Bankunternehmen gehen sie gemäß dem Prinzip „so will ich es“ und ergreifen 51% der Anteile, und versklaven so auf einen Schlag für das ganze Jahrhundert – so meinen sie – die Arbeit des griechischen Volks. Am Anfang wollten sie uns mit ihren gedruckten Papieren, der Mark und der Lira der Besatzung, vortäuschen, dass sie uns angeblich bezahlen, was sie kaufen. Doch sie haben es einfach gestohlen: Denn dieses Papier hatte keinen Umtauschwert in Deutschland und in Italien, sie nahmen uns also unsere Sachen, ohne sich zu verpflichten, uns etwas von ihrem Eigentum zu geben, sie bezahlten uns mit frischer Luft.
Doch später kamen sie darauf, dass es überflüssige Mühe und eine unnötige Ausgabe ist, Mark und Lira zu drucken. Besser, die „griechische Regierung“ druckt das Papier und übernimmt die Ausgaben, und so stehlen sie uns alle Güter mit unserem eigenen Geld. Und diese Ausgaben der Besatzungsarmee wurden so hoch und unermesslich, dass es keine Druckerei schafft, „Tausender“ zu drucken. Als Deutschland nach dem ersten Weltkrieg dazu verurteilt wurde, 2 Milliarden Mark jährlich als Gesamtentschädigung für alle riesigen Schäden zu bezahlen, die es auf der ganzen Welt verursacht hatte, erhob es ein fürchterliches Geschrei über die schreckliche Ungerechtigkeit des „räuberischen“ Vertrags von Versailles, und rechtfertigt dazu noch den heutigen Krieg, weil damals gefordert worden sei, Deutschland fertig zu machen. Aber was soll denn das kleine, arme und menschenleere Griechenland sagen, das niemandem Schaden zufügte, das sich nie daran machte, ein fremdes Land zu unterwerfen oder die Güter von jemandem wegzunehmen, wenn seine Eroberer schon in einem Jahr zweieinhalb Milliarden Mark „für Ausgaben der Besatzungsarmee“ einkassieren? Und sie fordern jetzt, Griechenland solle die Ausgaben des deutschen Feldzugs in Afrika bezahlen, indem sie es dazu bringen (hört, hört!), dass Griechenland Deutschland 20 – 30 Milliarden Drachmen jeden Monat „leihen“ soll! Und jetzt ernähren wir nicht nur die Besatzungsarmeen, bezahlen wir nicht nur ihre Feste, ihre Besäufnisse, ihre Orgien mit unseren Mädchen und unseren Schwestern, ihre ganze unvorstellbare Verschwendung für Arbeiten, für Transporte, für Gebäude, die wir nicht brauchen, für Flughäfen, für Wachposten, die sie in unserem Land bauen, sondern wir ernähren auch die Armee Rommels, damit wir dazu beitragen, die „neue Ordnung“ auch in Afrika einzurichten. Die „neue Ordnung“ der Verbrecher!
So weit ist es gekommen, dass Hunderte und Tausende von Menschen an Hunger gestorben sind, so weit sind wir gekommen, dass wir auf den Straßen über Leichen hinweggehen, dass wir unsere Toten begraben, die auf den Abfallwagen aufgestapelt sind. So sind wir alle zu Skeletten geworden und unsere Kinder abgemagert mit dünnen Beinchen und erloschenen Augen. So wird in unserer Brust die Tuberkulose, die Unterernährung und der Niedergang eingepflanzt.
Und wenn das Volk, das seine Freiheit mit langjährigen Kämpfen mit seinem Blut erworben hat, es wagt zu protestieren, sein Recht zu verlangen, sein elementares Recht im Leben zu fordern, beim Preis, bei seinem Vermögen, dann stecken sie es in die Gefängnisse und in die Konzentrationslager, vertreiben es aus dem Haus, verbrennen ihm seine Dörfer, töten seine Kinder und erschießen unschuldige Geiseln, um den Protest des Volkes zu ersticken.
Die feigste, die widerwärtigste Tyrannei, die jemals auf der Welt aufgetaucht ist. Wirklich eine „neue Ordnung“ auf der Welt. Erneute Rückkehr zur primitiven Barbarei, Aufhebung jeden Gesetzes, jeder Moral, jeden Rechts. Das Gesetz des Dschungels in Europa! Das ist die neue europäische Ordnung.